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Interview mit Moritz Bleibtreu ("Das kalte Herz")
29. August 2016

maerchenfilm.info traf am 29. August den Schauspieler Moritz Bleibtreu in Berlin zum Interview. Er verkörpert den Holländer-Michel in der Neuverfilmung des Märchen "Das kalte Herz".

Wie sind Sie zu der Rolle vom Holländer-Michel gekommen?
Moritz Bleibtreu: Johannes Naber hat mich gefragt, und ich habe relativ schnell zugesagt.  Aber ich muss gestehen, da war das Märchen gar nicht so der Auslöser, vielmehr er und die Kombination aus beidem.
Ich kannte die Filme, die Johannes Naber bis dahin gemacht hatte und fand ihn einen interessanten Regisseur, den ich seit seinem ersten Film „Der Albaner“ schon auf dem Zettel hatte: Wenn der mal fragt, mach ich mit.

Kannten Sie das Märchen?
Das Hauff-Märchen hat in meiner Kindheit nicht so eine Rolle gespielt, auch den Film (Anm.: DEFA-Verfilmung 1950) kannte man nicht so.
Deswegen war ich auch nicht so ehrfürchtig weil mir gar nicht bewusst war, was für eine Tragweite der Film hatte und wie groß und erfolgreich er war.
So hatte ich einen gesunden Abstand zu dem Ganzen und konnte mich der Figur des Holländer-Michel viel freier nähern, als wenn ich den Film damals gesehen und gewusst hätte, welche Relevanz der Geschonneck  in der Performance gehabt hat, die ja mega war.
Aber was wir jetzt gemacht haben, das ist schon was ganz Anderes und unterscheidet sich total von allem, was im Bereich Märchenverfilmung bisher gemacht wurde.
Alleine weil wir das Märchen aus dem geschichtlichen Kontext reißen und man nicht so genau weiß, ist das Vergangenheit oder Zukunft. Der Film macht schon einen gewaltigen Schritt weg vom klassischen Märchen.

Wie haben Sie sich auf die Rolle vom Holländer-Michel vorbereitet?
Moritz Bleibtreu: Ich habe das Märchen noch mal gelesen und mir den Film angeguckt. Aber das sind eigentlich nur Sachen zur Inspiration. Für mich ist das ein homogener Ablauf. Wenn ich weiß, dass ich die Figur spiele, dann beschäftige ich mich immer wieder damit, so dass sich die Figur langsam aufbaut.
Der Rest ist dann die Zusammenarbeit mit dem Regisseur und den Kollegen.
In dem eigentlichen Sinne bereite ich es nicht vor, ich mache es.

Wie fanden Sie Ihr Kostüm?
Moritz Bleibtreu: Sehr geil. Aber auch irre anstrengend, das muss alles rauf und wieder runter. Das war schon viel Arbeit, vor allem das Entfernen war schlimmer als das Draufmachen. Ich stand jeden Abend anderthalb Stunden unter der Dusche bis das Zeug endlich runter war.
Aber es ist natürlich eine Riesenhilfe für einen Schauspieler und ein totales Geschenk, weil die Figur schon so klar gezeichnet ist.

Kommt man dann aus der Maske heraus und ist derjenige?
Moritz Bleibtreu: Bis zu einem bestimmten Grad  - ja. Kleider machen Leute. Wenn Du eine Uniform anhast, gehst du anders. Umso enger die Uniform ist, umso anders wirst du gehen. Dementsprechend formt es die Figur und den Charakter.

Haben Sie den Film schon gesehen?
Moritz Bleibtreu: Nein noch nicht. Aber ich bin gespannt. Ich glaube, was von Anfang an klar war, dass Johannes (Johannes Naber, Regisseur) auf  der einen Seite visuell eine absolut in sich geschlossene und sehr eigene cineastische Welt schafft und sich gleichzeitig aber nicht diesen gängigen Mainstream-Erzählelementen bedient, die z.B. bei allen Märchenfilmen aus Hollywood  verwendet werden, hohe Schnittfrequenz, Specialeffekts u.a., auch viel Musik und hohes Tempo.

Was ist das besondere an dem Film?
Das hier ist ein Film, der zwar einen großen visuellen Anspruch hat, aber gleichzeitig sich in seiner Erzählweise auf die Figuren konzentriert. Da bin ich sehr gespannt, wie das fertig funktioniert.
Der Film ist sehr eigen. Johannes Naber hat versucht, das zum Tragen kommen zu lassen, was einen Märchenfilm ausmacht, nämlich die Figuren. Und das, was er auf der 2. Ebene erzählt ist sozial relevant wie nie zuvor und hochaktuell: Leute wissen gar nicht mehr, wonach sie streben, aber sie streben, streben, streben.
Und überall auf dieser Welt lauern irgendwelche kleinen Waldgeister und Glasmännchen, die einen zu allem möglichen verführen.
Und gleichzeitig - und das ist für mich die Quintessenz des Films, wird die Essenz des Kapitalismus beschrieben: Dass Kapitalismus vollkommen okay ist, wenn es darum geht, wenn wir sagen, wir haben einen gesunden Wettbewerb und streben alle nach Wohlstand.
Solange der Wohlstand definiert bleibt und man sagt: Ich möchte gut leben und ich möchte einen kleinen Luxus und ich möchte ein kleines Häuschen und vielleicht auch ein kleines Boot haben, dann ist das in Ordnung. Ob man das erreicht oder nicht, sei dahingestellt.
Wenn man aber den Bezug zu der Tatsache verliert, dass Geld nur ein Mittel ist, um etwas zu bekommen, dann ist man verloren.
Dann geht es nur noch um das Geld selbst. Genau wie der Holländer-Michel, dem geht es nur um die Herzen: Und noch ein Herz mehr und noch ein Herz mehr und noch ein Herz mehr... Und er weiß schon gar nicht mehr, warum. Aber trotzdem ist es das einzige, wonach er strebt.

Was ist Ihr Lieblingsmärchen?
Moritz Bleibtreu: Schwer zu sagen, weil ich eigentlich Märchen nicht mag.
Genauso wie man Kinder früher körperlich gezüchtigt hat, so hat man Kindern immer Angst gemacht. Man hat nicht versucht, denen zu erklären, warum sie nicht in den Wald gehen sollen - was man 2016 vielleicht tun sollte - sondern man hat gesagt: Geh da nicht rein, sonst bist du tot.
Und die Kinder haben Angst gehabt und sind vor Angst erstarrt eingeschlafen. Und deswegen mag ich die Märchen nicht so.
Doch, eins: Hans im Glück. Ganz einfach, weil Hans im Glück eine der ersten Geschichten in der Literatur überhaupt war, die Glück nicht als reinen Schicksalsbegriff verwendet haben, sondern als eine Sache, die du tatsächlich beeinflussen kannst. Das mochte ich sehr gerne und das ist auch ein gutes Märchen.

Fotos: maerchenfilm.info, Weltkino Filmverleih

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