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Interview mit Kai Meyer
(Schriftsteller, Journalist, Drehbuchautor "Die Hexenprinzessin")

25. Oktober 2020

Kai Meyer, geboren 1969 in Lübeck, ist nicht nur ein Schriftsteller und Journalist, sondern auch Drehbuchautor u.a. vom neuen ZDF-Märchenfilm "Die Hexenprinzessin".

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Drehbuchautor bzw. Autor zu werden? Was hat Sie dazu veranlasst?
Ich wollte das Geschichtenerzählen immer zum Beruf machen, schon als Kind und Teenager. Mit vierzehn, fünfzehn war mir nicht klar, ob es auf Schriftsteller, Comiczeichner oder Filmregisseur hinauslaufen sollte. Ich habe mich nach dem Abitur dann bei der Filmhochschule in München beworben – Ende der Achtzigerjahre konnte man Film nur in München und Berlin studieren –, bin abgelehnt worden und habe ein Volontariat als Journalist begonnen. Währenddessen habe ich bereits Romane geschrieben, mein erstes Buch erschien, als ich 24 war. 1995, mit 26, habe ich mich als Schriftsteller selbstständig gemacht und bislang alles in allem etwas über 60 Romane veröffentlicht, fast alle im phantastischen Bereich. Die Drehbücher haben mich dann schließlich doch wieder zum Film gebracht – zwei Horrorfilme Ende der Neunziger, jetzt „Die Hexenprinzessin“. Außerdem schreibe ich derzeit im Alleingang zwei Hörspielserien für Audible, „Imperator“ und „Sieben Siegel“. Das waren allein 32 knapp einstündige Episoden in den letzten zwei Jahren.

Haben Sie sich auf ein bestimmtes Genre spezialisiert?
Ich werde oft als Fantasy-Autor bezeichnet, schreibe aber Phantastik in allen Spielarten. Viele meiner Bücher sind früher als historische Romane vermarktet worden, obwohl sie immer ein starkes phantastisches Element hatten, etwa „Die Alchimistin“ oder „Das Buch von Eden“, außerdem natürlich meine beiden Bücher über die Brüder Grimm, „Die Geisterseher“ und „Die Winterprinzessin“. Ich habe auch eine ganze Reihe Horrorromane geschrieben und zuletzt mit „Die Krone der Sterne“ endlich einmal eine dreibändige Space Opera.

Was mögen bzw. reizt Sie an Ihrem Job als Drehbuchautor?
Vor allem mag ich den Moment, in dem man zum ersten Mal den fertigen Film sieht. Nein, das muss ich korrigieren: eher das zweite und dritte Mal. Beim ersten Anschauen neigt man dazu, vor allem das zu sehen, was aus unterschiedlichsten Gründen nicht realisiert werden konnte.

Gibt es bestimmte Herausforderungen, auf die man sich als Drehbuchautor einstellen sollte?
Man braucht starke Nerven und viel Geduld. Ich bin seit jeher der Meinung, dass man beim Drehbuchschreiben vor allem für eine Menge Durchhaltevermögen bezahlt wird. Anders als bei meinen Romanen, in die mir niemand hineinredet, werden beim Film die meisten Entscheidungen im Komitee getroffen. Vor allem im Vorfeld der Dreharbeiten – also dann, wenn man als Autor aktiv ist – wird alles wieder und wieder in Frage gestellt, von allen Beteiligten. Das ist anstrengend, aber letztlich wollen alle den bestmöglichen Film machen. Man muss dann die Schnittmenge finden, häufig auch durch Kompromisse.

Wie sieht ein typischer Schreibtag als Drehbuchautor aus?

Wenn Exposé und Treatment einmal stehen, also die Vorstufen des eigentlichen Drehbuchs, ist der Rest vor allem Ausarbeitung. Die Entwicklung des Plots und der Figuren vor der ersten Drehbuchversion ist sehr viel arbeitsintensiver als das eigentliche Buch. Und dann kommen irgendwann die Drehbuchbesprechungen, Anmerkungen von Redaktion und Produzenten, und mehrere weitere Fassungen.

Haben Sie bestimmte Bilder im Kopf, wenn Sie am Drehbuch schreiben?
Das ist mein Job. Ob bei Romanen oder Drehbüchern: Ich denke in erster Linie in Bildern.

Wie entstand die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem ZDF für den Märchenfilm „Die Hexenprinzessin“?
An Weihnachten 2016 sah ich zufällig im Fernsehen eines der ZDF-Märchen, „Die weiße Schlange“. Mir war bis dahin gar nicht bewusst gewesen, dass das ZDF eigene Märchen produziert, ich kannte nur die der ARD und mochte sie nie besonders. „Die weiße Schlange“ hingegen sah aus wie einer der tschechischen Märchenfilme aus den Siebzigern, die ich bis heute sehr mag, und ich dachte: Okay, Fantasy will bei den Öffentlich-Rechtlichen niemand im Abendprogramm (dazu hatte ich schon mehrere eindeutige Ansagen der Verantwortlichen gehört), aber offenbar ist Fantasy im Kinderprogramm durchaus möglich. Ich bat meine Filmagentin, Kontakt zur Redaktion aufzunehmen und mal nachzuhören, ob man dort Interesse an einer Zusammenarbeit mit mir hätte. Die Antwort kam sehr schnell, man kannte dort meine Romane und wollte sich gern treffen. Im Februar 2017 hatte ich dann den ersten Kontakt zum Produzenten Jens Susa, im März war ich erstmals in Mainz beim Sender.

Wie entstand die Idee zur Verflilmung von „Die Hexenprinzessin“?
Ich hatte ursprünglich eine neue Version von „Jorinde und Joringel“ angeboten, weil das eines meiner Lieblingsmärchen ist. Eine Weile lang stand das auch im Raum, aber dann fiel beim ZDF die Entscheidung, vorerst lieber unbekanntere Märchen als Vorlagen zu verwenden. Das hielt ich für eine gute Idee, und die Redaktion hat mir dann drei zur Auswahl gegeben, darunter „Zottelhaube“ aus Norwegen. Ich habe mich dafür entschieden, weil es das Potential für eine wilde Abenteuergeschichte bot: Eine große Reise unterschiedlicher Charaktere ist ja das klassische Format für eine Fantasy-Queste.
Ich habe die Geschichte dann komplett neu erfunden, nur die Ausgangssituation ist noch ähnlich. Das Vorbild in meinem Hinterkopf war immer die erste Staffel von „Fantaghiro“, die ich in den Neunzigern sehr mochte. Nicht so sehr inhaltlich – an die Details der Serie kann ich mich gar nicht mehr wirklich erinnern –, sondern eher in Sachen Vermischung von Märchen und moderner Fantasy. Ich wollte weg vom muffigen Kammerspiel im Freilichtmuseum, hin zu etwas Großem, Epischem – soweit sich das im Rahmen unseres Budgets eben machen ließ.

Kannten Sie zuvor das Original-Märchen und wenn ja, wie finden Sie es?
Ich habe es zum ersten Mal gelesen, als die Redaktion es erwähnt hat. Wie viele Märchen ist es dramaturgisch ein wenig unausgegoren, aber es bot das Potential für tolle Bilder und große Emotionen.

Als Sie von der Idee bzw. Produktion erfuhren, hatten Sie da schon Ideen im Kopf wie der Film aussehen könnte?
Während meiner Gespräche mit dem ZDF ging es immer auch um die Frage, was so ein Film kosten darf. Da hieß es dann oft, mehr als zwei, drei digitale Effekte sind nicht bezahlbar. Im fertigen Film hingegen gibt es nun eine ganze Menge CGI, aber auch klassische In-Camera-Effekte wie Rückprojektion. Ngo The Chau, der Regisseur, hat da mit den tschechischen Effektleuten wahre Wunder vollbracht. Während der ersten Drehbuchbesprechungen schien das dagegen noch undenkbar, ich musste damals einige aufwändigere Ideen wieder rauswerfen. Das Einzige, worauf ich von Anfang an bestanden habe, war die Entführung der Prinzessin durch den Krähenschwarm. Darüber wurde vorab lange debattiert. Und es ist immer noch eine der zentralen Sequenzen im Film und wahrscheinlich meine Lieblingsszene.

Was war für Sie das Anspruchvollste beim Schreiben und Konzipieren des Drehbuchs zur „Hexenprinzessin“?
Im Rahmen des Budgets zu denken. Ich habe mich anfangs außerdem bemüht, in den Dialogen eine Menge Worldbuilding unterzubringen, Erzählungen über die Welt außerhalb der Geschichte. Meine erste Drehbuchfassung hätte deshalb gut und gern einen Film von zwei Stunden ergeben und war viel zu lang. Die zweite Fassung habe ich auf neunzig Minuten runtergekürzt, danach hat dann Max Honert als Co-Autor übernommen und hat die weiteren Versionen bis zur endgültigen Abnahme geschrieben. Er hat nochmal eine gute Portion Tempo und Humor eingebracht.

Worum geht es in „Die Hexenprinzessin“?
Als Prinzessin Amalindis von drei Hexen entführt wird, bricht ihre wilde und unangepasste Schwester auf, um sie zu suchen und zu befreien. Die Schwester wird von allen nur Zottelhaube genannt, weil sie sich nicht um ihr Äußeres schert, aber in ihr steckt weit mehr als nur eine Rebellin gegen die starren Regeln am Königshof. Widerwillig muss sie sich mit Amalindis‘ schnöseligem Bräutigam Tanka zusammenraufen, denn das Abenteuer, das ihnen bevorsteht, können sie nur gemeinsam bewältigen.
In der Geschichte steckt auch ein klassisches Coming-of-Age-Element: Beide Schwestern müssen sich von ihrem unbeschwerten Leben verabschieden und lernen, Verantwortung zu übernehmen, für Andere und für ihr eigenes Handeln. An der Oberfläche ist der Film aber vor allem ein buntes Fantasy-Spektakel.

Haben Sie eine Lieblingsfigur und warum gerade diese?
Das war immer Zottelhaube. Sie ist eine dieser starken Mädchenfiguren, die sich nicht unterkriegen lassen und über die ich auch in vielen meiner Romane geschrieben habe.

Welche Szene im Film fanden Sie im Schreibprozess besonders spannend?
Die Art und Weise, wie Zottel und der Prinz zueinander finden, war eine Herausforderung. Max Honert hat die Figur des Prinzen noch einmal ziemlich umgekrempelt und die Unterschiede der beiden dabei stärker herausgearbeitet.

Für welche Zielgruppe wurde dieser Märchenfilm produziert?
Beim ZDF hieß es immer „für Kinder und die ganze Familie“. In den Festivalprogrammen steht „ab acht Jahre“. Aber, ganz ehrlich, als Autor muss man so etwas vor allem für sich selbst schreiben. Ich habe nie Auftragsarbeiten angenommen, und auch „Die Hexenprinzessin“ war keine. Ich hatte einfach einen Riesenspaß an der Geschichte.

Welche Moral steckt in der „Hexenprinzessin“?
Ich bin kein großer Freund davon, eine Moral ins Zentrum einer Geschichte zu stellen. Aber das Thema ist auf jeden Fall Verantwortung.

Es hieß ja bereits, dass der Film etwas düster sei. Wie sehen Sie das?
Der Film ist nicht düster, sondern im Gegenteil überaus farbenfroh. Die bösen Hexen sind eben böse Hexen, und so hat Chau sie inszeniert. In den ersten Drehbuchfassungen war das eher eine Frage der Details. Ein Beispiel: Die Krähenhexe hatte bei mir die ganze Zeit über den Bauch einer Schwangeren. Erst als die Krähen aus ihr hervorbrechen, wurde den Zuschauern klar, dass sie in ihrem Bauch kein Baby, sondern einen Vogelschwarm trägt. Das war der Redaktion zu viel, vielleicht hatte man da Sorge, junge Mütter zu verstören – wer weiß. Einige solche Dinge, die ein wenig kontrovers waren, wurden herausgenommen. Bero – die Figur, die Jürgen Vogel spielt – hat in den ersten beiden Drehbuchfassungen die Helden im Stich gelassen und wurde dafür zur Strafe selbst in eine Ratte verwandelt, und die blieb er auch über das Ende hinaus. Stattdessen hat er jetzt diese niedliche Ratte als Haustier dabei.

Zu welchen Märchen würden Sie gern ein Drehbuch verfassen?
Immer noch „Jorinde und Joringel“. Ich tendiere nach wie vor zu Märchen, in deren Zentrum eine Reise bzw. Queste steht.

Oftmals werden ja die Neuverfilmungen sehr kritisiert. Man findet sie oft zu kitschig, zu modern, sie hätten keinen Charme etc. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Ich schaue mir „Der Prinz und der Abendstern“, „Der dritte Prinz“ und natürlich „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ fast jedes Jahr an, während ich die neuen Disney-Realverfilmungen nur unter Zahnschmerzen schaffe. Juraj Herz‘ tschechische Version von „Die Schöne und das Biest“ ist der teuren US-Version um Längen überlegen, um mal gar nicht erst von Jean Cocteaus französischem Klassiker zu sprechen. Ich habe mich bei der ursprünglichen Konzeption darum vor allem an die tschechischen und russischen Klassiker gehalten, im Hinterkopf hatte ich dabei zum Beispiel auch „Märchen einer Wanderung“, den ich sehr mag. Der fertige Film ist natürlich moderner geworden, aber durch die Geschichte zieht sich noch immer die DNS der europäischen Märchenfilmklassiker.

Wie stehen Sie generell zum Thema „Gewalt im Märchen“?
Gehört dazu und sollte öfter gezeigt werden. Kinder vollständig davor bewahren zu wollen halte ich für einen Fehler. Lieber bereite ich sie doch in einem phantastischen und sicheren Kontext auf Gefahr und Gewalt vor, als die erste Begegnung damit unkontrolliert Youtube zu überlassen. Letztlich wussten die Grimms bereits sehr gut, wie man mit dem Thema umgeht, und ich verstehe nicht, warum man das einer Gesellschaft, die sich zweihundert Jahre lang weiterentwickelt hat, nicht mehr zumuten sollte. Wenn sich entrüstete Mütter beim Sender beschweren, dass die Hexe in „Hänsel und Gretel“ Kinder mästet, um sie aufzuessen, sehe ich das Problem eher bei manchen Eltern, als bei uns Geschichtenerzählern.

Wir bedanken uns für das märchenhafte Interview.

Weitere Infos zu Kai Meyer unter www.kaimeyer.com

Fotos: Stefan Freund, ZDF/Conny Klein

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