Interview mit Judith Neumann ("Die verkaufte Prinzessin")
01. November 2023
Judith Neumann wurde am 07.12.1989 in Lindenfels (Hessen) geboren.
Von 2011 bis 2015 absolvierte Judith ein Schauspiel-Studium an der renommierten Bayerischen Theaterakademie August Everding in München.
Neben ihrer schauspielerischen Tätigkeit ist die gebürtige Mannheimerin auch als Sprecherin aktiv, darunter in Hörspielen wie "Kornkreise" des Hessischen Rundfunks. Ihr Film- und Fernsehschaffen umfasst unter anderem Auftritte in Kinofilmen wie "Ich war noch niemals in New York" neben Größen wie Heike Makatsch und Moritz Bleibtreu, sowie im mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Kinofilm "Im Feuer - zwei Schwestern".
Die meisten Märchenfilm-Fans kennen Judith Neumann noch aus dem Märchenfilm "Der Schweinehirt" (2017) als Hofdame Mine.
An Weihnachten 2023 wird sie in der Hauptrolle als Melisa im Märchen "Die verkaufte Prinzessin" in der Reihe "6 auf einen Streich" zu sehen sein. Dabei handelt es sich um ein feministisches Märchen, das die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die den Traum verfolgt, einen traditionell männlich konnotierten Beruf zu ergreifen und dabei in die Intrigen eines Fürstentums verwickelt wird.
maerchenfilm.info sprach mit Judith Neumann über ihre Rolle als Melisa und den Dreharbeiten zum Märchenfilm.
Sie spielen die Doppelrolle Melisa/Mathis: Wie würden Sie Ihre Rolle beschreiben?
Melisa ist eine optimistische, mutige, junge Frau, die ein klares Ziel vor Augen hat und sich alleine auf den Weg durch die Berge macht, um ihren Traumberuf zu ergreifen. Außerdem kämpft Melisa dafür, akzeptiert zu werden für das, was sie ist, eine junge Frau, die in ihrer Weiblichkeit sein darf, wie sie will, egal was sie für Klamotten anhat und egal welche Art von Beruf sie ergreifen will. Sie steht für Offenheit, Offenheit sich und anderen gegenüber und vor allem anderen Gefühlen gegenüber. Hinzukommt, dass sie gerne ihren Optimismus und Mut teilt. Sie bestärkt Sophia darin, Fürstin zu werden, ist flink im Kopf, sieht wie ihr Großvater das Gute im Menschen und nimmt kein Blatt vor den Mund. Inspiriert durch ihren Großvater möchte sie einen Beruf ergreifen, der hauptsächlich von Männern ausgeführt wird. Sie möchte in einem Bergwerk arbeiten. Damit sie alleine in den Bergen sicher ist und da die Welt, in der sie lebt, nun mal keine Frauen in diesem Beruf als Bergfrau kennt, gibt sie sich als Mann, als Mathis, aus. Die Rolle ist also für mich keine klassische Doppelrolle, wie es beispielsweise Pasquale Aleardi’s Rollen sind, ein Schauspieler spielt zwei verschiedene Figuren. Ich habe einzig und allein eine Figur gespielt, die Rolle der Melisa, die sich ab und zu eine Hose anzieht und ihre kinnlangen Haare unter einer Mütze versteckt, damit sie allein in den Bergen sicher ist und an Arbeit und Essen kommt, denn in dieser Märchenwelt, die wir erzählen, die der Welt des 19. Jahrhunderts ähnelt, können Frauen nicht alleine unterwegs sein, geschweige denn einfach so arbeiten. Es ist also eher den äußeren Umständen geschuldet, warum sie den kleinen Trick der Verwandlung nutzt.
Mussten Sie lange überlegen, diese Rolle anzunehmen?
Ich hatte große Lust auf den Film, nicht nur hat es mich gereizt eine mutige Rolle zu spielen, sondern ich empfand die Dynamik der beiden Figuren, Sophia und Melisa, sehr spannend und reizend. Zwei Frauen unterstützen sich gegenseitig, sind begeistert, inspiriert und verzaubert voneinander. So etwas durfte ich bis jetzt noch nicht spielen und habe ich noch nicht so oft gesehen, daher habe ich mich sehr gefreut diese Rolle übernehmen zu dürfen.
Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Neben ein paar Gesprächen mit dem Regisseur Matthias Steuer und meiner Kollegin Kristin Alia Hunold über unsere Figuren und dem üblichen Textlernen, bestand meine Vorbereitung u.a. aus der Recherche zu den Themen „Frauen in klassischen Männerberufen“ und „Frauen im Bergbau“. Dabei wurde mir klar, dass wir ein feministisches Märchen erzählen, bei dem unser erzählerisches Anliegen ist, zu vermitteln, dass man als Frau „darf“. Als Frau darf ich jeden Beruf ergreifen, den ich möchte.
Außerdem habe ich mir unter anderem überlegt, um eine Körperlichkeit für meine Rolle zu finden, mit welchem Tier ich Melisa vergleichen könnte. Eigentlich verbindet man ja das Chamäleon mit der „Verwandelbarkeit“. Bei meiner Recherche hat sich jedoch herausgestellt, dass das ein Mythos ist. Dem Chamäleon passiert es eher, dass es seine Farbe wechselt, es kann es nicht bewusst steuern. Zum Beispiel wenn es Angst hat oder sich freut, wechselt es seine Farbe. Ich habe ein anderes Tier gefunden, was ganz bewusst Farbe und Form verändern kann, um sich äußeren Umständen anzupassen: Der Oktopus. Genau wie Melisa ganz bewusst wählt, sich als Mann auszugeben, um sich äußeren Umständen anzupassen, kann der Oktopus sich verwandeln. Unterstützt dabei hat mich das Kostüm: der Umhang den sie als Mathis trägt, und den später Melisa als Rock trägt. Das hat mir geholfen eine Körperlichkeit für die Rolle zu finden - der Rock/Umhang, der sich ähnlich anfühlt, wie die Arme eines Oktopusses. Ich habe die Bewegungen des Oktopusses studiert und mich inspirieren lassen für die flinke, leicht schwebende Beweglichkeit Melisas.
Konnten Sie sich bei der Umsetzung der Rolle miteinbringen oder wurde strikt nach Plan des Drehbuchs gedreht?
Wir haben gemeinsam mit Regie und Produktion und allen Spielenden einen feinen Teamgeist entwickelt und alle gemeinsam die Köpfe zusammengesteckt.
Wie verlief das Casting zum Film?
Es war ein Konstellationscasting, das online per Zoom stattfand. Nach dem Casting mit Kristin Alia Hunold, hatte ich große Lust, gemeinsam mit ihr diesen Film zu drehen. Auch wenn es nur online war, haben wir sofort gespürt, dass es da eine besondere Verbindung gibt. Es hat sich auch schnell herausgestellt, dass sich diese Verbindung auch für Regie, Produktion und Casting übertragen hatte und somit war klar, dass wir beide besetzt sind.
Der Märchenfilm basiert ja auf bayerische Sagen. Gibt es Unterschiede zwischen der literarischen Vorlage und zu dem Film?
Ich habe mich einzig und allein von dem Drehbuch leiten und inspirieren lassen.
Was war für Sie die größte Herausforderung bei den Dreharbeiten?
Wir waren absolut gesegnet mit einem der schönsten Drehorte, in denen ich je drehen durfte: den Bergen (Südtirol). Oft wurden wir mit dem schönsten Wetter beschenkt, das sieht man ja auch im Film. Jedoch manchmal, wie so typisch für die Berge, kam ein unerwarteter Wetterwechsel und so musste schnell alles umorganisiert werden, was in der Kürze der Drehzeit eine organisatorische Herausforderung war.
Welche Szene war in der Umsetzung am anspruchsvollsten?
Interessanterweise war für mich persönlich die herausforderndste Szene, die wo ich mit Rock als Melisa Apfel essend mit dem Apfelhändler den Berg hochlaufe und auf ihn einrede. Nachdem Melisa aus dem Schloss geflohen ist und bevor sie Sophia in der Burgruine rettet. Diese Szene wurde als Plansequenz gedreht, das heißt es gibt keine Schnitte, und somit musste jeder Tritt, Blick, Biss und jedes Wort genau sitzen, da alles zu bestimmten Zeitpunkten und Abschnitten des Weges nacheinander passieren musste. Das fühlte sich an wie eine ganz strenge Choreographie. Das dann ganz locker, leicht und natürlich aussehen zu lassen, war auf jeden Fall eine Herausforderung.
Gab es besondere Ereignisse beim Dreh?
Meine Schauspielkolleg:innen und ich, also Kristin, Langston, Pasquale und ich haben für einen Nachmittag eine Eisfrau engagiert, die dem gesamten Team aus ihrem Eiswagen heraus das beste Eis der Region gezaubert hat. Das war sehr lecker! Außerdem: Die Tiere waren super, die Esel vor allem.
Haben Sie eine Lieblingsszene im Film? Und warum ist es gerade diese?
Einige Szenen mit Sophia und Mehrich gefallen mir sehr gut. Und natürlich die Szene, in der sich Melisa die Kitzelfeder schnappt und endlich die Boshaftigkeit von Graf Rudolf entlarvt und somit Prinzessin Sophia inspiriert und motiviert das Bergwerk wieder zu eröffnen, in dem Melisa dann arbeiten kann. Pasquales (gequältes;)) Lachen ist einfach köstlich!
Welche Aspekte im Film „Die verkaufte Prinzessin“ sind heute noch aktuell?
Heute gibt es zwar immer mehr Frauen in männlich konnotierten Berufen und umgekehrt, aber wir könnten uns schon noch ein wenig mehr von dem Märchen inspirieren lassen, dass es keine konkreten Rollenbilder geben muss, sondern alles sein darf. Noch immer machen mehr Männer als Frauen Filme und werden schlechter bezahlt, obwohl gleich viel Frauen und Männer an Film-Unis studieren. Gebt den Frauen eine Chance! Lasst sie die gleiche Arbeit machen wie die Männer und bezahlt sie auch gleich! ;)
Welche Botschaft richtet der Film an seine Zuschauer? Wie konnte Ihre Rolle dazu beitragen?
Für mich ist unser Märchen ein feministisches Märchen, in dem wir nicht nur von Offenheit erzählen. Offenheit anderen gegenüber, seinen eigenen Gefühlen gegenüber und, dass jeder so sein darf wie er will. Wir erzählen, dass die Frau „darf“, alles darf - Fürstin werden oder Bergfrau.
Welche Bedeutung haben Märchen für Sie?
In meiner Kindheit bin ich mit vielen Märchen groß geworden. Ich habe es geliebt, mich in diese Welten verführen zu lassen, oft vorgelesen zu bekommen, mal verkleidend eins nachzuspielen oder auf der Bühne zu bestaunen. Ich denke, Märchen haben mich in meiner Kindheit sehr geprägt und klingen bis heute in mir nach.
Sie haben bereits 2017 im Märchenfilm „Der Schweinehirt“ mitgespielt. Würden Sie erneut in einem Märchenfilm mitspielen wollen? Wenn ja, welches Märchen wäre es denn und warum?
Definitiv. Das würde ich gern. Das waren zwei sehr bereichernde berufliche Erfahrungen, bei denen mir das Spiel ganz besonders viel Spaß gemacht hat. Im „Schweinehirt“ war ich zusammen mit Lisa Hrdina sehr tollpatschig und lustig unterwegs, mit der Rolle der Melisa habe ich eine sehr positive, mutige Frau gespielt. Warum nicht jetzt mal die Bösewichtin;)!
Welche Erfahrung von der ganzen Produktion nehmen Sie mit?
Bei sich und optimistisch zu bleiben und seinen eigenen Instinkten zu vertrauen, egal wie verrückt die Welt um einen herumspielt, und natürlich mutig seine Träume zu verfolgen - das nehme ich vor allem von der Rolle Melisa mit. Es war eine wunderbare Produktion und ich hoffe, dass sich dieser Mut, den Prinzessin Sophia und Melisa an den Tag legen, an die Zuschauenden, vor allem die Kinder, überträgt. Jeder darf sein wie und was er will und sich darin ausprobieren.
Ich wünsche allen Zusehenden viel Freude beim Gucken.
Wir bedanken uns sehr herzlich für das märchenhafte Interview.
TV Termin:
"Die verkaufte Prinzessin"
25.12.2022, DasErste, 15:30 Uhr
Zuerst in der ARD Mediathek
Fotos:BR/TV60Filmproduktion GmbH/Martin Rattini, Ursula Düren/dpa |