Nussknacker und Mäusekönig – ein sehr berühmter Märchenstoff, der von der ARD mit viel Engagement umgesetzt wurde. Ganz kurz zusammengefasst geht es in dem Märchen um ein Mädchen, das sich in einen Nussknacker verliebt und ihn durch ihre Liebe erlöst, sodass der Nussknacker sich am Ende wieder in einen jungen Mann zurückverwandelt – oder war alles tatsächlich nur ein Traum, wie es nicht ganz klar aus dem Film hervorgeht?
Nun ist E.T.A. Hoffmann, der das Kunstmärchen schrieb, in seinen Werken der literarischen Romantik ja grundsätzlich dafür bekannt, dass das Wunderbare bei ihm eine ganz andere Bedeutungsebene einnimmt als im klassischen europäischen Volksmärchen, in dem z.B. Zwerge und Feen als selbstverständlich gelten und deren Existenz daher nicht hinterfragt wird. Bei Hoffmann herrscht eine Diskrepanz zwischen der bürgerlichen aufgeklärten Welt und der fantastischen romantischen Welt vor, d.h. nicht alle Figuren aus Hoffmanns Märchen nehmen die fantastische Welt ernst, halten sie vielmehr für Spuk und Hirngespinste, fürchten sich vor ihr.
Die ARD schafft es, diese Diskrepanz auch im Film umzusetzen und wird damit der literarischen Vorlage eindrucksvoll getreu: Einzig Marie (tiefsinnig und verträumt gespielt von Mala Emde) glaubt an die Kraft der Fantasie, die ihr der Pate Anselmus Droßelmeier (geheimnisvoll dargestellt von Anatole Taubman) eröffnet. Aber gerade dadurch wird Marie, als sie vom Kampf des Nussknackers (Sven Gielnik) mit einem Mäusekönig (superstark verkörpert von Joel Basman) erzählt, von ihrer brav bürgerlichen Familie nicht ernst genommen und für krank und fiebrig gehalten – sogar der kleine Bruder (Leonard Seyd) meint einmal, seine Schwester sei verrückt geworden.
Der Film verwendet entsprechend der ambivalent unheimlichen und faszinierenden Stimmung einerseits düstere, dunkle und andererseits warme, gelbe Bilder – Träume und geheimnisvolle Musik verstärken das Rätselhafte der Atmosphäre. Sehr kunstvoll wird auch die Binnenerzählung aus der Vorlage der Prinzessin Pirlipat und dem Märchen von der harten Nuss durch ein Schattentheater optisch in der Erzählung des Paten Droßelmeier untermalt. Dazu kommt auf der akustischen Ebene die Musik Tschaikowskys zum Tragen aus dessen weltberühmten Ballett „Der Nussknacker“. Und schließlich lautet der Vorname von Droßelmeier Anselmus, was ein intertextueller Verweis auf ein weiteres bekanntes Märchen von E.T.A. Hoffmann, nämlich „Der goldne Topf“, darstellt.
Bleibt nächstes Weihnachten also nur noch Folgendes zu wünschen: Wenn die ARD mit dieser tollen Stimmung an die Stoffe Hoffmanns herangeht, warum sich nicht auch an weiteren Werken dieses vielschichtigen Autors versuchen?
27.07.2017 - zurück
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