Die Loslösung aus der Königsebene im Film?
Als Vorlagen dienten dem ZDF zwar die Märchentexte „Die sechs Schwäne“ von den Brüdern Grimm sowie „Die wilden Schwäne“ von Hans Christian Andersen, jedoch ist in diesen Texten die weibliche Heldin stets eine Königstochter. Im Film ist die Hauptfigur Constanze in der proletarischen Ebene angesiedelt (sie lebt auf einem kleinen Bauernhof), und nicht nur das: es ist eine weite, rätselhafte, sehnsuchtsgeladene, aber auch bedrohliche Naturstimmung, in der sich der Mensch behaupten muss – die Exposition für den Weg Constanzes, des Mädchens, das an seinem 18. Geburtstag das streng gehütete Geheimnis um den Fluch ihrer Brüder erfährt. Sinja Dieks spielt die weibliche Hauptrolle und überzeugt durch ihre bescheidene, sehnsuchtsvolle Ausstrahlung. An ihrer Seite spielt André Kaczmarczyk den toleranten und verliebten Prinz Markus.
Der Film zeichnet sich durch die Glaubwürdigkeit der einzelnen Handlungen aus, auf der bösen Seite fungiert Julia Jäger als Königin Sieglinde, die durch alle möglichen Intrigen das junge Liebesglück ihres Sohnes zu zerstören trachtet. Schließlich ist eine standesübergreifende Verbindung für das Königshaus undenkbar. Zudem zeigt der Film sehr gut, dass Julia Jäger die Personifikation der Korruption des Adels über das Volk (in diesem Fall durch Constanze verkörpert) darstellt. In diesem korrupten Machtdenken gefährdet die Königin sogar das Wohlwollen ihres Sohnes, denn Jäger wird in ihrer Rolle permanent vom aristokratischen Machtdenken geleitet.
Sechs Jahre darf Constanze kein einziges Wort sprechen und muss ihren sechs Brüdern in dieser Zeit Hemden aus Brennnesseln nähen – ein Motiv, das bereits aus der tschechoslowakischen Märchenverfilmung „Die sieben Raben“ sowie aus der Andersen-Geschichte „Die wilden Schwäne“ bekannt sein dürfte. Der Film gewinnt durch diese Bezüge allerdings auch eine intermediale Wertigkeit. Aber auch eine mittelalterlich-religiöse Komponente zum Schicksal der heiligen Jungfrau von Orleans ist nicht auszuschließen. Denn schließlich bringt auch Constanze ein großes und selbstloses Opfer. Diese Mehrdeutigkeit gibt Raum für viele Assoziationen.
Im Bereich der Filmkulissen sind alle Handlungsorte positiv hervorzuheben: Neuenburg (Freyburg), Kloster Memleben, Burg Querfurt, Burg Kriebstein und Kloster Schulpforta. Burg Querfurt diente mit seiner Kapelle als Hochzeitskulisse, Burg Kriebstein stellte die Burg von außen dar, Burg Neuenburg war der Drehort innen (beispielsweise im Hof, wo Constanze verbrannt werden sollte), weitere Innenszenen wurden in Kloster Memleben und Kloster Schulpforta gedreht. Innerhalb dieser Gebäude kontrastieren bzw. bekämpfen sich immer wieder zwei Farben: Schwarz und Weiß. Hell wechselt mit Dunkel, Tag mit Nacht, Wahrheit mit Lüge. Diese farbliche Kontrastierung in den Filmbildern (vieles wird oft schwarz oder weiß bzw. hell oder dunkel dargestellt) schafft zugleich eine dichte und bedrohliche Atmosphäre.
„Die sechs Schwäne“ ist ein Film über Freiheit und Loslösung vom eigenen Elternhaus und von dunklen, mittelalterlichen Machttrieben. Das ZDF schafft es durch eine große atmosphärische Dichte und den beiden ehrgeizigen Hauptdarstellern das Märchen in einer gelungenen und menschlichen Neuinterpretation zu präsentieren.
Gesamtbewertung: Sehr gut (1)
21.11.2013
Bewertungsraster: 1: Sehr gut 2: Gut 3: Zufriedenstellend 4: Genügend 5: Mangelhaft
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