Der ARD-Märchenreihe „Sechs auf einen Streich“ ist auch mit „Allerleirauh“ ein guter Film geglückt, der auf Herrscherverhältnisse und Schönheitskonzepte abzielt.
Eine Prinzessin unterhält sich mit ihrer Köchin über die Liebe, so der Anfang des Films. Positiv hervorzuheben ist an diesem Einstieg die Tatsache, dass hier schon einmal zwei Ebenen aufeinandertreffen: die königliche und die (wie im Film häufig dargestellt) schmutzige und niedrigere Dienerschicht. Immer wieder scheinen sich diese zwei Ebenen im Film zu bekämpfen, was beispielsweise daran erkennbar wird, dass sich auch die Köchin gegen das königliche Urteil stellt.
Vergleichen wir jedoch den Filmeinstieg mit dem des Originalmärchens, so fällt auf, dass weiter ausgeholt werden sollte: Der Text steigt nämlich mit dem Tod der Königin ein. Doch zu Beginn des Films ist die Königin bereits verstorben. Essentiell für die Geschichte wäre ein Vergleichsmaß der Hauptdarstellerin mit der verstorbenen Königin gewesen, um das Idealbild von Schönheit, das den König verblendet, noch nachvollziehbarer zu machen. Da der Film dieses Vergleichsmaß nicht bietet (die verstorbene Königin wird nicht ins Bild gesetzt), bleibt einzig Allerleirauh als Schönheitsprojektion bestehen. Die Frage, worin der König die Schönheit von Allerleirauh sieht, ist durch das fehlende Vergleichsbild mit der Mutter allerdings erschwert zugänglich.
Sehr gut die Kulissen des Films. Hervorzuheben ist auch die romantische Grundstimmung, welche durch die geheimnisvollen Nachtbälle ins Licht rückt, in denen Allerleirauh sich in eine Prinzessin verwandelt. Henriette Confurius spielt die verträumte und ehrgeizige Prinzessin Allerleirauh sehr beeindruckend.
Zentrales Kriterium bleibt allerdings die Liebesgeschichte: Im Gespräch mit der Köchin erzählt Allerleirauh von ihrem Traum eines Reiters auf dem weißen Pferd. Dieses Bild mutet leider etwas stereotyp an und bestätigt den Erwartungshorizont eines naiv-träumerischen Menschen.
Mit dem Bild wird allerdings gebrochen, als sich der besagte „Ritter auf dem weißen Pferd“ als eingebildeter König erweist, was wiederum der Unzulänglichkeit solcher Klischees gut entspricht – ein schöner Bruch.
Der König nimmt Allerleirauh in seine Dienerschaft auf. Trotzdem der König Allerleirauh allen möglichen Demütigungen aussetzt, kann sie nicht von der Liebe zu ihm lassen, was ein Bild von weiblicher Abhängigkeit und Unterordnung gegenüber dem patriarchalen Herrscher vermittelt. In dieser Form vertritt der Film eine weitaus unterwürfigere Art der Allerleirauh-Figur als der Ausgangstext, in welchem Allerleirauh als sehr reflektiert und eigenmächtig (im Sinne von ‚verführerisch’) dargestellt wird. Der König, der eine Abscheu gegen das schmutzige Allerleirauh ausdrückt (ob er sie wirklich empfindet, bleibt leider etwas unklar), lebt in seiner kapitalistischen Welt. Ein authentisches Gefühl von Liebe wird nicht vermittelt, doch scheint es dem Film auch nicht um die wahre Liebe zu gehen, wie sie Allerleirauh eigentlich finden will, sondern der König scheint sich von allem abzuheben, was ihm ästhetisch nicht gefällt und ihm hierarchisch untergeordnet ist.
In einer Szene, in der Allerleirauh dem König die Suppe bringt, scheint er das Dienstmädchen gar nicht wahrzunehmen. Der Film schafft es, mit André Kaczmarczyk einen König in Szene zu setzen, der sich mehr in die Schönheit verliebt als in den Menschen – eine der Kernbotschaften des Märchens wird dadurch gekonnt vermittelt: diejenige von zwei Königen, die sich in eine bestimmte Form von Schönheit verlieben.
Die besondere Stärke des Films liegt also in der gelungenen Polarisierung von Bild (im Sinne von Idealbild oder Klischee) und Entsprechung in der Wirklichkeit, ein sehr zeitgenössisches Konzept.
04.05.2013
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