Prinz Himmelblau und Lupine
19. April 2016
Im Jahr 2016 wird Radio Bremen, MDR und NDR für die ARD-Märchenreihe „6 auf einen Streich“ das Märchen von „Himmelblau und Lupine“ verfilmen. Gedreht wird vom 21. Juni bis zum 08. Juli in Bremen und Umgebung. Regie führt Markus Dietrich.
"Himmelblau und Lupine" ist ein Kunstmärchen von Christoph Martin Wieland (1733-1813). Das Märchen steht im "Dschinnistan" (1786-1789), einer Sammlung von 19 Feen- und Geistermärchen, teils neu erfunden, teils übersetzt und umgearbeitet.
Himmelblau und Lupine
(... Märchen über Schönheit und Häßlichkeit ...)
Die Fee Lupine hatte das Unglück, fünf Tage in jeder Woche eine außerordentlich häßliche kleine Person zu sein; in den beiden übrigen hätte sie das Modell zu einer Liebesgöttin abgeben können. Es ist noch immer etwas, wöchentlich zwei schöne Tage zu haben, woferne man sie benutzen kann. Aber für Lupinen ging dieser Vorteil durch einen andern Umstand verloren, und das war, daß sie, so wie sich ihre Figur änderte, auch eine andere Denkart und andere Gesinnungen bekam.
In ihren fünf häßlichen Tagen war sie sanft, zärtlich, gutherzig, gefühlvoll, mit einem Worte: liebenswürdig, wenn man es mit einer widerlichen und zurückstoßenden Außenseite sein könnte. Sie war in dieser Zeit die gefälligste, die verbindlichste Person von der Welt und tat ihr möglichstes, um irgendeinen Genie, Zauberer oder auch nur einen bloßen Sterblichen aufzutreiben, der edel genug wäre, sich von wahren und soliden Verdiensten, von Vollkommenheiten des Geistes und Herzens, ohne einen Zusatz von körperlichen Reizungen, einnehmen zu lassen; aber leider! wo findet man solche Männer in der Welt? Bei allem dem muß man sich nicht einbilden, als ob die gute kleine Fee darum eine Kokette gewesen wäre; sie tat es bloß, weil es nun einmal geschrieben stand, dass sie ihre ursprüngliche Gestalt, welche sehr liebreizend gewesen war, nicht eher wiederbekommen würde, bis sie einen Mann fände, dem sie in ihrer Häßlichkeit eine wahre Liebe einzuflößen vermochte.
So stand es in dem Buche des Schicksals geschrieben, einem Buche, das jedermann kennt, wiewohl kein Mensch jemals darin gelesen hat.
Wie die gute Lupine zu diesem Unglück gekommen, wird wohl niemand erst fragen, der ein wenig in der Feerei bewandert ist. Natürlicherweise hatte sie sich's durch eine hartnäckige Sprödigkeit gegen irgendeinen häßlichen, boshaften, abscheulichen Zauberer zugezogen, welcher mächtiger als sie. So etwas versteht sich von selbst; und gleichwohl gibt es Leute, denen man alles sagen muß und die gleich ungehalten über euch werden, wenn ihr ihnen das Vergnügen machen wollt, etwas zu erraten, das sich von selbst versteht.
Lupine hatte, wie gesagt, auch zwei Tage in der Woche, wo sie zum Entzücken schön war. Sie besaß in dieser kurzen Zeit alle Reizungen und Annehmlichkeiten, womit Schönheit und Jugend die Sinne bezaubern können; und wäre es in ihrer Gewalt gestanden, die nehmlichen Gesinnungen und das nehmliche Betragen, womit sie in den Tagen ihrer Häßlichkeit so wenig ausrichtete, beizubehalten: welches Herz hätte gegen sie aushalten können? Aber sobald sie schön wurde, wurde sie auch albern, eitel, übermütig und, mit einem Worte: unausstehlich; ihr hochmütiges Wesen, ihre Kälte, ihr Eigensinn, ihre Geringschätzung anderer, ihr Mangel an Geschmack und Empfindung, kurz, alle ihre Manieren, stießen einen jeden wieder zurück, den ihre Figur angezogen hatte; und man brauchte sie nur reden zu hören oder sich mit ihr einzulassen, um in wenig Augenblicken die gute Meinung von ihr zu verlieren, die man gewöhnlich von einer schönen Person hat und worin man sich so ungern betrogen findet.
Es war eine von den Bedingungen, von welchen ihre Wiederherstellung in den vorigen Stand abhing, daß es ihr nicht erlaubt war, weder denen, die sie anbeteten, wenn sie schön war, noch denen, deren Herz sie als häßlich gerne gewonnen hätte, zu entdecken, daß sie unter beiderlei Gestalt die nehmliche Person sei. Man glaubte bei Hofe (die Rede ist vom Hofe der Feenkönigin), es seien zwei Lupinen, eine schöne und eine häßliche. Dieser Hof ist ein Land, wo man zuweilen alles und noch mehr sieht, als zu sehen ist, dafür aber auch zuweilen die auffallendsten Dinge übersieht, so daß viele Zeit verstrich, ohne daß man die Bemerkung machte, daß die beiden Lupinen sich nie zugleich sehen ließen.
Inzwischen hatte die kleine Fee fünf Tage in jeder Woche hintereinander den Verdruß, sich von eben den Liebhabern verachtet und verspottet zu sehen, die in den beiden übrigen Tagen alles in der Welt darum gegeben hätten, sie ebenso liebenswürdig und gefällig zu finden, als sie schön und reizend war. Diese Lage ist traurig genug; auch war es Lupine nicht wenig, und sogar noch mehr in den Tagen, wann sie schön, als in denen, wann sie häßlich war: woraus sich schließen läßt, daß es noch besser ist, mit Verstand und Empfindung häßlich, als mit aller möglichen Schönheit eine Gans zu sein.
So stund es indessen mit der guten Fee, als das Schicksal sie mit einer Mannsperson zusammenbrachte, die aus einerlei Ursache ebenso übel behandelt worden war. Es war ein junger Prinz (wie man leicht denken konnte), aber was man so leicht nicht erraten hätte, ist, daß er sich «Himmelblau» nennen ließ: teils, weil seine Augen von dieser Farbe waren, teils, weil er sich den ganzen Sommer durch in himmelblauen Schielertaft zu kleiden pflegte und diese Art von Zeug eine Zeitlang zur Mode gemacht hatte. Er war ursprünglich einer von den Adonissen gewesen, die das Vorrecht haben, den Weibern den Kopf zu verrücken, ohne daß sie recht sagen könnten, warum.
Sobald sich einer von diesen privilegierten Herren sehen läßt, so sind die alten Feen gemeiniglich nicht die letzten, welche Jagd auf sie machen; wiewohl mit so schlechtem Erfolge, daß sie längst von dieser kleinen Schwachheit geheilt sein sollten, wenn man sich von einer Schwachheit, die man gerne hat, heilen ließe. Die erste Fee, die sich über Himmelblaus Grausamkeit zu beklagen hatte, nahm ihre Rache auf der Stelle. Sie tat ihm, wie der Zauberer Lupinen getan hatte: der ganze Unterschied war, dass Himmelblau nur für zwei Tage in der Woche mit der vollständigsten Häßlichkeit begabt war, in den fünf andern aber seine angeborne Schönheit behielt.
Im übrigen war es mit ihm wie mit Lupinen: häßlich hatte er alle nur ersinnliche Vorzüge des Geistes und Herzens; aber sobald er wieder schön wurde: weg war Seele, Witz, Geschmack und Empfindung; er wurde so kalt und gleichgültig wie eine Bildsäule, sah ohne Gefühl, sprach ohne zu denken, kurz, wurde so albern und abgeschmackt, daß er mit aller seiner Schönheit kaum erträglich war.
Die beiden Tage, wo Himmelblau unter dem Namen Magotin häßlich und gefühlvoll war, waren gerade dieselben, wo Lupine verurteilt war, schön und gleichgültig zu sein; die fünf Tage hingegen, wo sie häßlich und geistvoll war, waren diejenigen, an welchen sich der Prinz im Besitz aller Reizungen und aller Kälte einer schönen Statue befand. In diesem letztern Stande mußte er Liebe einflößen, um jemals daraus befreit zu werden; und was für ihn das mißlichste war, es mußte wahre Liebe und die Liebhaberin eine Dame von Verstand und vortrefflichem Charakter sein. In diesem Stücke war er würklich schlimmer daran als die Fee.
Eine häßliche Person kann durch die Schönheit ihrer Seele gefallen; aber daß ein verständiges Frauenzimmer einen gefühllosen Gecken bloß um seiner Figur willen liebgewinne, scheint beinahe eine Unmöglichkeit.
Die Übereinstimmung in Himmelblaus und Lupinens Schicksalen brachte noch eine andere hervor, die man leicht voraussehen konnte. Der Prinz wurde in den zwei Tagen, wo er Magotin war, sterblich in Lupinen verliebt, die dann just ihre zwei schönen Tage hatte; und sie begegnete ihm so unartig und verächtlich, als man es von einem Charakter wie der ihrige erwarten kann.
Aber dafür kam auch, sobald die zwei Tage vorbei waren, die Reihe an den Prinzen. Lupine wurde dann wieder auf fünf Tage das häßlichste Geschöpf von der Welt; und der schöne Himmelblau nahm mit seiner Gestalt und seinem Namen auch seine Eiskälte und sein verächtliches Bezeugen wieder an. Die arme Fee gab alle ihre Blicke und Seufzer umsonst bei ihm aus; sie schien nur desto häßlicher zu werden, je zärtlicher sie aussah und je mehr sie zu gefallen suchte.
Bei allem dem sah sich der schöne Himmelblau bald genug von dem Gedränge verlassen, das seine Figur anfangs um ihn her gemacht hatte. Koketten und Prüden, die davon geblendet worden waren und sich viel von ihm versprochen hatten, wurden seiner Kälte und unhöflichen Gleichgültigkeit überdrüssig; die einzige Lupine, die keine Wahl hatte, hielt bei ihm aus.
Sie hatte dann doch wenigstens das Vergnügen, allein bei dem, was sie liebte, zu sein und keine Nebenbuhlerin zum Zeugen der Gleichgültigkeit, womit ihr begegnet wurde, zu haben; und das ist kein geringer Trost. Wenn diese Gleichgültigkeit nicht abnahm, so schien sie doch auch nicht zuzunehmen; und auch das ist ein Trost: die Liebe nährt sich von dem leichtesten Anschein von Hoffnung; und Hoffnung ist vielleicht der größte Zauber der Liebe. Auch in diesem Stücke hatte es Himmelblau schlimmer, wenn die Reihe an ihn kam, häßlich zu sein. Lupine, sowenig Unterhaltung auch ihre Liebhaber bei ihr fanden, behielt doch immer einen kleinen Hof von Anbetern um sich.
Die Eigenliebe der Mannsleute scheint von einer zähern und hartnäckigern Natur zu sein als der Damen ihre, und es braucht eine weit längere Zeit, bis ein Liebhaber, der das Unglück hat zu mißfallen, sich's gesagt sein läßt. Und wenn denn auch einem die Geduld ausging, so stellten sich immer wieder zwei neue dafür ein, die ihren eignen Verdiensten und Gaben mehr zutrauten und desto hitziger wurden, das Abenteuer zu versuchen, je mehr Vorgänger dabei verunglückt waren. Himmelblau-Magotin hatte also immer die Demütigung auszustehen, daß ihm unter allen seinen Nebenbuhlern am schlimmsten mitgespielt wurde. Freilich besaß er, zu seinem Glücke, soviel Verstand, daß er noch immer besser als ein andrer davonkam; aber litt er darum weniger?
Ein so stürmischer Hof, wie Lupinens, hatte oft genug lauter neue Gesichter aufzuweisen: der einzige Magotin hielt sie alle aus; keine Mißhandlung konnte ihn ermüden, geschweige zum Abzug bewegen. Anfangs gab niemand darauf acht; aber da es lange genug gewährt hatte, bemerkte man es endlich. Man zog ihn darüber auf, er hielt fest. Seine Beständigkeit schien ein Wunder; die Damen stellten ihre Betrachtungen darüber an: man beschloß Mitleiden mit ihm zu haben und, wo möglich, seine Figur zu vergessen, wenn man ihm auch mit geschlossenen Augen Audienz geben müßte.
Man begriff, es müßte was Außerordentliches hinter ihm stecken; kurz, er wurde Mode; und eh' man eine Hand umkehrte, war keine Dame von einer gewissen Gattung, die sich nicht eine sehr ernsthafte Angelegenheit daraus gemacht hätte, diesen Liebhaber der schönen Unerträglichen zu entführen. Denn unter diesem Namen war Lupine in ihren zwei schönen Tagen bekannter als unter ihrem eigenen.
von Christoph Martin Wieland
Portrait-Zeichnung von Ferdinand Jagemann (1805) |